Der Alltag von Autist*innen ist ein anderer als der von normalen Menschen. Für sie ist es am besten, wenn er vom Moment des Aufstehens bis zum Ins-Bett-Gehen durchorganisiert und strukturiert ist. Das was für gesunde Menschen öde und schwer erträgliche Gleichförmigkeit wäre, ist für Autist*innen der Garant für Wohlgefühl und Sicherheit. Jede Änderung, jedes umplanmäßige Ereignis kann sie völlig aus der Bahn werfen.
Stellen wir uns ihren Tagesablauf als eine Treppe von unten nach oben vor. Unten ist Morgen, oben ist Nachtruhe. Jede Stufe steht für einen Punkt im Ablauf des Tages, die erste also für das Aufstehen, Duschen und Anziehen, die zweite fürs Frühstück, die dritte für den Weg zum Bus zur Schule oder Arbeit usw.
Für Autist*innen ist es unmöglich, die Stufen zu vertauschen oder auch zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Sie sind außerstande, gleich nach dem Aufstehen zu frühstücken oder auf dem Weg zum Bus noch schnell ein paar Äpfel zu kaufen. Der Abend verläuft dem entsprechend. Abendessen, aufräumen, zum Beispiel regelmäßig einen Film sehen, ins Bett gehen. Und das obere Ende der Treppe ist erreicht. Am folgenden Morgen beginnt alles wieder von vorn. Ereignisse dazwischen zu schieben ist nur sehr schwer möglich und muss auf jeden Fall „angemeldet“ werden.
Autist*innen kündigen häufig jede kleine, selbstverständlich scheinende Handlung mit einem Aussagesatz in Frageform an, z. B.: „Ich nehme mir ein Stück Kuchen“, ihr Ton ist unsicher und fragend. Diese Aktionen sind sozusagen keine Stufe der Treppe und daher eigentlich unmöglich. Autist*innen sind hier unsicher und bedürfen einfach der Zustimmung.
Daraus ergibt sich für alle Betreuenden von Autist*innen, dass sie abwägen müssen, Änderungen des Tagesablaufes wirklich einzufügen. Wenn, dann sollten sie so früh wie möglich angekündigt werden, am besten mit einer nachvollziehbaren Erklärung. Also nicht einfach: „Ich komme morgen später“, sondern: „Oma hat übermorgen Geburtstag. Wir treffen uns und holen morgen nach der Arbeit einen Blumenstrauß für sie.“ Dann sollten nicht außerdem noch Waschpulver, Eier und ein Blumenkohl gekauft werden, wenn es nicht besprochen worden ist.
Das Bild der Treppe trifft den Autist*innen-Tagesablauf sicher nicht ganz, steht aber für die Starrheit und vielleicht auch dafür, dass es weder nach links noch nach rechts Ausweichmöglichkeiten gibt, ohne abzustürzen.